Mittwoch, 22. September 2010

Alltagsgerümpel

Über "das kleine Blaue" habe ich ein tolles Interview der "Welt am Sonntag" (12.09.10) mit Karen Kingston entdeckt. Karen ist Entrümpelungs-"Päpstin " und Autorin (u.a. "Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags: Richtig ausmisten. Gerümpelfrei bleiben"). Unnötig, zu erwähnen, dass ich natürlich Bücher von ihr habe... ! Mein erstes Fazit: Lesen allein reicht nicht ;-). Aber ich bin immer sehr motiviert, wenn ich mich zumindest gedanklich mal damit beschäftigt habe...

Hier aber jetzt das Interview:

"Besitz kann Menschen blockieren" Karen Kingston berät Menschen beim "Space Clearing", dem befreienden Ausmisten überflüssiger Dinge. Das hat immer Saison - nicht nur im Frühling Von Katrin Kruse In den 80er-Jahren, als man unter Luxus noch Besitz verstand, begann Karen Kingston etwas sehr Außergewöhnliches zu tun: Sie brachte den Leuten das Wegwerfen bei. Ihr Buch "Clear your clutter with Feng Shui" wurde zum Bestseller, seitdem gilt die Engländerin als "Queen of less" in Sachen Wohnen. Gerade ist eine aktualisierte Version ihres Standardwerkes erschienen, natürlich als E-Book, etwas synchroner also mit dem Zeitgeist - immerhin ruft man derzeit die "Lovos" aus, mit einem "Lifestyle of voluntary simplicity", dem Lebensstil des einfachen Lebens. Zur Einfachheit leitet auch "Clear your clutter" an. Wie das aussieht? Man geht durch die eigene Wohnung, nimmt jeden Gegenstand in die Hand, stellt sich vier Fragen dazu und steht am Ende mit etwa der Hälfte seiner Besitztümer da: "Freier", würde Karen Kingston sagen.

Welt am Sonntag: Warum soll es gut sein, Dinge wegzuwerfen?
Karen Kingston: Die meisten Leute glauben, dass ihr Leben umso reicher wird, je mehr sie besitzen - ein großes Missverständnis. Wenn man zu viele Dinge anhäuft oder die falschen, hat das einen negativen Effekt. Besitz kann Menschen blockieren.

Welt am Sonntag: Wie definieren Sie "zu viel"?
Kingston: Ich unterscheide vier Arten von Gerümpel: Dinge, die man nicht benutzt oder nicht liebt. Dann die Dinge, die nicht geordnet sind, drittens zu viele Dinge auf zu kleinem Raum. Und als vierte Kategorie - die vergessen die meisten Leute: Dinge, die nicht zu Ende gebracht sind. Das können materielle Projekte sein oder auch Beziehungen, die man eigentlich längst beenden wollte, nur ist man eben noch nicht dazu gekommen.

Welt am Sonntag: Was ist mit den Dingen, die man derzeit nicht liebt, aber irgendwann vielleicht doch wieder? Nehmen Sie Vintage-Kleidung: Wer alles wegwirft, was er ein Jahr lang nicht getragen hat - macht der nicht einen großen Fehler?
Kingston: Das fragen mich die Leute, seit mein Buch 1998 das erste Mal erschienen ist. Wenn ein Stil wiederkommt, dann nie in exakt der gleichen Weise - es ist immer ein neuer Aspekt darin. Außerdem muss man sich entscheiden: Halte ich einen Teil meiner Garderobe in der Warteschleife, nur weil die alten Sachen möglicherweise wieder in Mode kommen? Oder halte ich meine Umgebung auf dem Stand, der mir jetzt entspricht? Welt am Sonntag: Das Ausmisten ist ja nur eine Vorbereitung zu dem "Space Clearing", das Sie in den Häusern Ihrer Klienten durchführen. Es hat mit Energien zu tun, die dort gespeichert sind. Wie ist das bei Vintage-Kleidern: Steckt da, energetisch, der Vorbesitzer drin? Kingston: Nicht wenn Sie den Stoff reinigen oder waschen. Bei Vintage-Kleidung spielt allein die Assoziation eine Rolle. Wenn Sie ein Stück gefunden, gemocht und gekauft haben, sind keine alten Geschichten daran gebunden. Anders ist es, wenn Sie den ehemaligen Besitzer kennen.

Welt am Sonntag: Bei Möbeln oder Gebäuden, sagen Sie, können Sie dessen Spuren lesen. Inwieweit nehmen Sie Orte anders wahr als andere?
Kingston: Die meisten Leute haben ein Gefühl für die Energien eines Ortes. Sie kommen in ein Haus und sagen: Was für ein wunderbares Zuhause, hier würde ich gern leben! Oder sie fühlen sich beklommen. Nur wissen sie in beiden Fällen nicht warum. Ich lese die energetischen Spuren des Ortes - und kann es beantworten. Mit der Inneneinrichtung hat das übrigens wenig zu tun. Ich bin in den sensationellsten Wohnungen gewesen, und meine Erfahrung ist, dass Interiordesign einen ziemlich täuschen kann.

Welt am Sonntag: Was ist der häufigste Fehler beim Einrichten?
Kingston: Schwierig zu generalisieren. Es hängt sehr davon ab, was jemand von seinem Zuhause möchte. Einige wollen dort nur schlafen, für andere ist die Wohnung das Herzstück ihres Universums. Eine Regel gilt allerdings für alle: Wenn ein Raum keine klare Funktion hat, dann wird er über kurz oder lang zur Abstellkammer.

Welt am Sonntag: Haben Sie einen Rat für Umzüge?
Kingston: Wirklich nur die Dinge mitzunehmen, die in das neue Leben passen. Wer alle alten Möbel und sämtlichen Zierkram mitschleppt, hat oft Mühe, sich wirklich ein neues Zuhause zu schaffen. Eine andere wichtige Sache, wenn man mit einem neuen Partner zusammenzieht: unbedingt in einer neuen, gemeinsamen Wohnung anfangen. Der neue Partner wird dort sonst nie richtig "landen" können.

Welt am Sonntag: Warum nicht - weil die Gegenstände an die Vergangenheit erinnern?
Kingston: Ja, aber auch der territoriale Aspekt ist wichtig. Wenn einer von beiden schon in der Wohnung lebt, ist das sein Terrain. Wer neu einzieht, muss sich den Gegebenheiten anpassen: den Hausregeln, der Gestaltung, dem ganzen Leben dort. Wenn man nicht umziehen will oder kann, sollte man sich zumindest eine neue Matratze kaufen! Sonst schläft man in den Prägungen der vorherigen Beziehung.

Welt am Sonntag: Zu viele Dinge, sagen Sie, können einen erdrücken. Kann man auch zu spartanisch eingerichtet sein? Man wird wohl kaum nur zwei Freunde haben, weil man nur zwei Gabeln besitzt - aber die Dinge geben ja schon vor, was in einer Wohnung geplant ist und was nicht.
Kingston: Vor vielen Jahren hatte ich einen Freund, einen Millionär, der als Grundstücksentwickler aus dem Nichts heraus sein Geschäft aufgebaut hat. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, ein Haus herzurichten und parallel schon das nächste Grundstück zu kaufen. Dort hat er dann seine Matratze auf den Boden geworfen und geschlafen. Bis auf einen Koffer mit Kleidern hat er tatsächlich nichts anderes besessen. Ich habe eine Zeit lang mit ihm gearbeitet, und schließlich hat er sich entschlossen, sein eigenes Zuhause einzurichten. Es hat sein ganzes Leben verändert, plötzlich hat er stabile Beziehungen gehabt, nicht nur gelebt, um zu arbeiten. Er wusste tatsächlich nicht, wie das geht.

Welt am Sonntag: Das heißt, eine Wohnung kann eine Menge erzählen.
Kingston: Aber diese Lesarten sind ja heikel: Wer irrsinnig viele Sachen hat, ist nicht notwendigerweise ein freigiebiger Mensch. Ich selbst habe gerade mit ganz wenigen Dingen gelebt, weil ich nach 20 Jahren auf Bali zurück in meine Heimat nach England gezogen bin. Ich wollte die alten Möbel nicht mitnehmen, also haben wir anfangs auf dem Boden geschlafen. Wir waren ganz zufrieden in den ersten Monaten, ohne Sofas und dergleichen - mittlerweile bin ich froh, dass die Möbel nachkommen. Andererseits war diese Einfachheit wunderbar. Die Balance ist wichtig: Die Dinge dürfen einen nicht in Beschlag nehmen, sodass man seine gesamte Zeit damit verbringt, sich um sie zu kümmern.

Welt am Sonntag: Ist Ihnen jemals ein Leser oder Kunde untergekommen, der das Ausmisten übertrieben hat?
Kingston: In ganz seltenen Fällen habe ich E-Mails von Leuten bekommen, die so extrem viel aussortiert haben, dass sie nicht wussten, was sie als Nächstes tun sollten - weil nichts mehr übrig war.

Welt am Sonntag: Kann man dem vorbeugen?
Kingston: Es ist wichtig zu wissen, warum man ausmistet - was man für sich damit erreichen will. Wenn Leute ausmisten um des Aussortierens willen, kann sich das sogar zur leichten Obsession entwickeln. Es gibt sicher einige wenige, die mein Buch gelesen haben und dann in eine solche Richtung gedriftet sind.

Welt am Sonntag: Ein kleiner Kontrollfreak ist schon darin angelegt.
Kingston: (Lacht) Ich habe mich oft gefragt, warum sich meine Bücher in Deutschland so gut verkaufen. Vielleicht gibt es im deutschen Charakter diese Facette, die es liebt, wenn die Dinge geordnet sind?

Welt am Sonntag: Das wäre zumindest ein klares kulturelles Stereotyp. Verkauft es sich tatsächlich so außergewöhnlich gut?
Kingston: Ausgesprochen gut.

Welt am Sonntag: Ein bisschen beunruhigend ... Aber im Moment müssen wir ja ohnehin noch etwas warten, gewöhnlich heißt es ja, der Frühling sei die beste Zeit zum Ausräumen.
Kingston: Das ist tatsächlich die Energie des Frühlings. Aber jeder Anfang ist gut zum Ausräumen: der Beginn einer neuen Beziehung, ein neues Projekt oder wenn man aus den Ferien zurückkommt und das schwungvollere Leben beibehalten will. Sie müssen nicht bis zum Frühling warten!

Das Gespräch führte Katrin Kruse

Image via bellasugar.com

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